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können wir uns anlehnen oder nicht, heute aber müssen wir alle angelehnt sein." 1)

Der Hausvater erzählt darauf die Geschichte der Juden und teilt dabei die bitteren Kräuter zum Essen aus. Viermal werden die Becher mit Wein gefüllt und ausgetrunken; dazu werden Gäste aus allen vier Himmelsgegenden eingeladen. Die Kabbala verlangt, dass vor dem Schlafengehen ein mit Wein gefüllter Becher auf dem Tisch für den Propheten Elias zurückgelassen wird. Nachdem dann ein religiöses, kettensatzähnliches Lied, in dem die Zahlen 1 bis 13 mit dem Glauben in der Geschichte der Juden in Verbindung gebracht sind, gesungen worden ist, erhebt sich der Hausvater und spricht: ,,Das Denkmal des Pesach ist nun nach Vorschrift, nach allen Formen und Gebräuchen vollbracht. Möchten wir das Glück haben, es in der That auszuführen, wie wir das Vergnügen hatten, es in Worten vorzutragen. Allerheiligster, richte wieder ein gebeugtes Volk auf, ehemals von dir gegesegnet. Erhalte die Spröfslinge eines Baumes, den du selbst eingesetzt und führe unter Freudengesängen uns nach Zion zurück!" Diese Ansprache ist in der Hagada unter dem Titel ,,Chasal Sidur Pesach" bekannt.

Nachdem sich nun die Tischgesellschaft an dem Besten aus Küche und Keller gelabt hat, werden einige Psalmen zitiert und dann wird mit ungeheurer Heiterkeit das ,,Lied vom Zicklein" vorgetragen. Da dieses nur das Urbild aller sogenannten Kettensätze (englisch ,,cumulative stories", französisch „récapitulades") genannt, bildet, so wollen wir es hier nach Dr. Cassels Übersetzung vollständig folgen lassen.

,,Ein Zicklein, ein Zicklein, welches kaufte mein Vater für zwei Sus; ein Zicklein, ein Zicklein.

Da kam die Katze und frafs das Zicklein, welches kaufte mein Vater für zwei Sus; ein Zicklein, ein Zicklein.

1) Das Anlehnen bedeutet die ungenierte, behagliche Ruhe, deren sich nun die Israeliten nach dem Auszuge aus Ägypten erfreuen.

Da kam der Hund und bifs die Katze, die frals das Zicklein, welches mein Vater kaufte für zwei Sus; das Zicklein, das Zicklein.

Da kam der Stab und schlug den Hund, der bifs die Katze, die frafs das Zicklein, welches mein Vater kaufte für zwei Sus; das Zicklein, das Zicklein.

Da kam das Feuer und verbrannte den Stab, der schlug den Hund, der bifs die Katze, die frafs das Zicklein, welches mein Vater kaufte für zwei Sus; das Zicklein, das Zicklein.

Da kam das Wasser und löschte das Feuer, das verbrannte den Stab, der schlug den Hund, der bifs die Katze, die frafs das Zicklein, welches mein Vater kaufte für zwei Sus; das Zicklein, das Zicklein.

Es kam der Ochse und trank das Wasser, das löschte das Feuer, das verbrannte den Stab, der schlug den Hund, der bifs die Katze, die frass das Zicklein, welches mein Vater kaufte für zwei Sus; das Zicklein, das Zicklein.

Es kam der Schlächter und schlachtete den Ochsen, der trank das Wasser, das löschte das Feuer, das verbrannte den Stab, der schlug den Hund, der bifs die Katze, die frass das Zicklein, welches mein Vater kaufte für zwei Sus; das Zicklein, das Zicklein.

Es kam der Todesengel, der schlachtete den Schlächter, der schlachtete den Ochsen, der trank das Wasser, das löschte das Feuer, das verbrannte den Stab, der schlug den Hund, der bifs die Katze, die frafs das Zicklein, welches mein Vater kaufte für zwei Sus; das Zicklein, das Zicklein.

Es kam der Heilige, gelobt sei Er, und schlachtete den Todesengel, der schlachtete den Schlächter, der schlachtete den Ochsen, der trank das Wasser, das löschte das Feuer, das verbrannte den Stab, der schlug den Hund, der bifs die Katze, die frafs das Zicklein, welches mein Vater kaufte für zwei Sus; das Zicklein, das Zicklein.

Dieses Lied soll die zahlreichen Verfolgungen darstellen, die das jüdische Volk zu erdulden hatte, ehe es wieder zu

Ehren gelangte. Das Zicklein, ein reines Tier, soll die Juden repräsentieren, der Vater, der es kaufte, Jehova und die zwei Sus Moses und Aaron, welche das Volk Gottes aus Ägypten führten. Die Katze soll die Assyrer, welche die zehn Stämme in Gefangenschaft hielten, der Hund die Babylonier, das Wasser die Römer, der Ochse die Sarazenen, welche Palästina unterjochten, der Fleischer die Kreuzfahrer, die das heilige Land den Sarazenen entrissen, und der Todesengel die Türken, welche das heilige Land eroberten, darstellen. Dann wird zum Schlusse darauf hingewiesen, dafs Gott Rache an allen nehmen und den Juden eine selbständige Regierung unter dem erwarteten Messias geben werde.

Der Kettensatz bildet eine volkstümliche, äusserst beliebte Form der Erzählung; er geht von kleinem Anfang aus, wächst aber bald dermafsen in die Länge, dafs er die Zungenfertigkeit der Alten und Jungen stark auf die Probe stellt. Man findet Kettensätze als Märchen, Auszählreime und Volkslieder bei vielen Völkern, bei den Ungarn, Skandinaviern, Italienern, Franzosen, Engländern und sogar bei den Hottentotten.')

1) Siehe darüber die folgenden Schriften: S. 31-35 K. Knortz, Folkore. Dresden 1896. S. 51-52 J. Gillhoff, Das mecklenburgische Volksrätsel. Parchim 1892. S. 335-341 J. Haltrich, Volksmärchen aus dem Sachsenlande und Siebenbürgen. 2. Aufl. Wien 1877. S. 123 C. Sterne, Aus dem Paradiese. Wien o. J. S. 303-305, Bd. 1 J. G. v. Hahn, Griechische und albanische Märchen. Leipzig 1864.

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S. 367-373 A. Hauf

S. 119-121 A.

fen, Die deutsche Sprachinsel Gottschee. Graz 1895.
Treichel, Volkslieder und Volksreime aus Westpreufsen. Danzig 1895.
S. 112-115 Vernaleken und Branky, Spiele und Reime der Kinder in
Österreich. Wien 1876. S. 122 K. Gander, Niederlausitzer Volkssagen.
Berlin 1894. S. 169 W. Bleek, Reinecke Fuchs in Afrika. Weimar 1870.
S. 107 Bechsteins Märchenbuch. 36. Aufl. Leipzig 1886.
S. 289-313,
Vol. I W. A. Clonston, Popular Tales and Fictions. London. 1887.
S. 76–85 H. Dunger, Kinderlieder und Kinderspiele aus dem Voigtlande.
2. Aufl. Plauen i. V. 1894. S. 251, I. Bd. Scheffler, Die französische
Voksdichtung und Sage. Leipzig 1884. — S. 71-73 G. Eskuche, Hessische
Kinderliedchen. Kassel 1891. S. 1-16 P. Cassel, Aus dem Lande des
Sonnenaufganges. Berlin 1885.

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S. 439-457 Mother Gooses Nursery

Der in Deutschland bekannteste Kettensatz beginnt:,,Es schickt der Herr den Jockel aus, er soll den Hafer schneiden; der Jockel schneid't den Hafer nicht und kommt auch nicht nach Hause." Dann werden ausgeschickt der Pudel, der Stock, das Feuer, das Wasser, der Ochse, der Fleischer, der Henker und der Teufel; zuletzt geht dann der Herr selber aus und augenblicklich thut jeder seine Schuldigkeit. Damit wird das Sprichwort bewahrheitet, dass, wenn man etwas sicher und schnell gethan haben will, man es am besten selber thut und es keinem Jockel, d. h. einem Narren, überträgt.

Nicht immer nimmt der Kettensatz einen glücklichen Ausgang, so z. B. in dem lausitzer Märchen vom fortgelaufenen. Eierkuchen, welcher, nachdem er zwei Weibern, einem Häschen glücklich entronnen, von einem Schwein aufgeschnappt wird; oder in der bekannten Geschichte vom Hühnchen, das eine Erbse verschluckt hat und dann stirbt, ehe eine Jungfrau, ein Schuster, ein Schwein u. s. w. zu seiner Rettung herbeigecilt sind.

In dem griechischen, von J. G. v. Hahn aufgezeichneten Märchen,,Das Pfefferkorn" ist die Hauptperson eine Art Däumerling, nur hat derselbe nicht das fabelhafte Glück wie sein Doppelgänger, denn als er neugierig in die Suppen

Rhymes, Tales and Jingles. London and New York: Frederick Warne & Co. v. J. — S. 207-211 C. Johnson, What they say in New England. Boston 1896. S. 422-24, 754-64, Bd. 2 A. Birlinger und M. Crecelius, Des Knaben Wunderhorn. Wiesbaden 1876. S. 801 Mittler, Deutsche Volkslieder. Frankfurt a. M. 1865. · S. 449 A. Hruschka und W. Toischer, Deutsche Volkslieder aus Böhmen. Prag 1891. S. 24753, 257-59, 373-75, 376-77 T. F. Crane, Italian Popular Tales. Boston 1885. S. 134, 167, 172 und 209 Newell, Games and Songs of American Children New York 1883. Vol. III, IV und VIII Journal of Amerikan Folk-lore.

S. 425-28, 430-32, 436-43, 4. Bd. Fr. v. Erlach, Die Volkslieder der Deutschen. Mannheim 1835. S. 101 E. Harrison, A Study of ChildNature Chicago 1895. Kettensätze befinden sich ferner in folgenden Werken:

A. Clonston, Book of Noodles. - Journal of Amerikan Folk-lore. Vol. XIII. Lenz, Amerikanische Märchen.

schüssel blickt, fällt er hinein und ertrinkt. Sein Unglück geht darauf auf die Tauben, den Apfelbaum, den Brunnen, die Magd und die Königin über. Zuletzt wirft sogar der König aus Verzweiflung seine Krone zur Erde, dafs sie in tausend Stücke zerspringt und als ihn seine Freunde fragen, weshalb er dies gethan, erwidert er:

...Lieb Pfefferkorn ist tot,

Der Alte und die Alte jammern,

Die Taube hat sich die Federn ausgerissen,
Der Apfelbaum hat sich alle Äpfel abgeschüttelt,
Der Brunnen hat all sein Wasser vergossen,
Die Magd hat ihren Krug zerbrochen,
Die Königin hat ihren Arm gebrochen,

Und ich, König, habe meine Krone verloren,

Lieb Pfefferkorn ist tot!"

Eine auffallende Ähnlichkeit mit diesem Kettensatz hat die rumänische Erzählung von einem Ehepaar, das eine Maus besafs, die in heifser Milch ertrank. Darauf rifs sich eine Elster aus Trauer die Federn aus; eine Fürstin, die von diesem Vorfalle hörte, fiel vom Balkon herunter und ihr Gemahl zog sich in das, dem Wahrheitshause gegenüber liegende Lügenkloster zurück.

Von den Kettensätzen der Franzosen ist der vom Kätzchen Minette der populärste. Ausserdem haben sie einen von einem Zicklein, das nicht aus dem Kohlfeld weichen will, weshalb der Reihe nach der Wolf, der Hund und der Stock in Thätigkeit versetzt werden, bis dann schliefslich der Herr selber kommt und Alles in Ordnung bringt.

Die in England beliebtesten Kettensätze sind,,This is the house that Jack built", ,,John Ball shot them all" und,,The old woman and her crooked six-pence". Letzterer handelt von einer Frau, die ein Schweinchen kauft, das so eigensinnig ist, dafs es erst, nachdem seine Eigentümerin der Reihe nach. Hund, Stock, Feuer, Wasser, Ochsen, Fleischer u. s w. zur Hilfe gerufen, über die Zaunhaspel springt.

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