Изображения страниц
PDF
EPUB

Alt, Gelehrt und Ungelehrt. Es fafst nichts mit Handschuhen an, sondern spricht Alles, was es auf dem Herzen hat, frei und ungeniert aus und bekümmert sich wenig darum, ob seine Ausdrucksweise salonfähig ist oder nicht. Stets trifft es den Nagel auf den Kopf und wenn es manchmal doppelsinnig auftritt, so thut es dies nie ohne besondere Absicht.

Alle Sprichwörter sind aus langjähriger Erfahrung und Beobachtung hervorgegangen; sie repräsentieren daher die ungeschminkte Weisheit des Volkes. Es sind Regeln, die sich in der Praxis bewährt und sich daher auch von Vater auf Sohn fortgeerbt haben.

Eine Sprichwörtersammlung bildet also eine Art Volksbibel. Sie zeigt dem Volke nicht nur, was es ist, denkt und thut, sondern auch, wie es eigentlich sein, denken und thun sollte, denn das Sprichwort will vorzugsweise als Lehrer und Ermahner wirken. Deshalb geizt es auch mit seinem stets wohlgemeinten Rate bei keiner Gelegenheit; es begleitet uns von der Wiege zur Schule, von der Schule zur Werkstätte und von der Werkstätte zur Hochzeitstafel; es lehrt uns, wie wir unsere Kinder zu erziehen und wie wir unsere Frauen zu behandeln haben; es giebt uns Verhaltungsmafsregeln für den Umgang mit Freunden, Feinden und Nachbarn; es macht uns mit den dem Weine entspringenden Freuden und Leiden genau bekannt; es lehrt uns bei Zeiten für die Tage zu sorgen, die uns nicht gefallen und schliesslich wünscht es uns angenehme Ruhe im Grabe.

Die Sprichwörter sind erprobte Regeln für Herz und Haus. In alter Zeit fand man sie auf Tassen, Tellern, Bechern, Öfen, Pfeifenköpfen, Schnupftabaksdosen, sowie in Wirtshäusern, Schulen und Rathäusern und es ist sehr zu bedauern, dafs diese schöne Sitte im Laufe der Zeit beseitigt worden ist. Die alte Wirtshausinschrift:

,,Wer will borgen,
Der komm' morgen,"

sowie der schlechtgereimte, von Luther stammende Spruch:

,,Ein Jeder lern' seine Lektion

So wird es wohl im Hause stohn,“

der früher die Wände der Schulhäuser zierte, könnten, nebst so vielen anderen, auch noch heute ihre Wirkung thun.

Die Sprichwörter enthalten goldene Regeln in silbernen, mitunter auch in hölzernen Schalen. Sie machen keinen Anspruch darauf, als Muster eines glatten, klassischen Stiles zu dienen; auch wollen sie uns nicht in die Regeln der Grammatik oder der Prosodie einführen. Letztere verletzen sie vielmehr bei jeder Gelegenheit, wie sie denn überhaupt pedantische Gelehrsamkeit und Silbenstecherei mit besonderer Vorliebe aufs Korn genommen haben.

Das Sprichwort spricht einfach, wie ihm der Schnabel gewachsen ist und wie es der gemeine Mann gar wohl versteht. Seine Reime sind gröfstenteils auf die alte Drohung ,,Reim' dich, oder ich fress' dich", zurückzuführen; und da, wo dies nicht auszuführen war, begnügt es sich mit einer Assonanz oder einer Alliteration, wenn es nicht vorzieht, sich überhaupt jedes poetischen Beiwerkes zu begeben. Den Artikel und das Zeitwort läfst es da aus, wo sich beide leicht ergänzen lassen, denn die Kürze ist neben der Würze sein Hauptkennzeichen.,,Das Sprichwort ist," wie Frank von Wörd schreibt, „eine kurze, weise Klugred, die Summa eines ganzen Handelns, Gesetz oder langen Sentenz: als der Kern in ein enges Sprüchlein und verborgen Grifflein gefasset, da mehr etwas anderes verstanden als geredt wird."

Wie das Sprichwort entstand, darüber giebt uns Sailer folgende Auskunft: „Einer sah, fühlte, sprach und das Sprichwort war geboren. Er sah das Ereignis, fühlte die Wahrheit, sprach aus, was er fühlte. Sein Nachbar hörte das Wort, fühlte mit das Wahre; er bewahrte den Fund und sprach dasselbe Wort bei ähnlichen Anlässen nach. So ward das Wort ein Sprichwort."

[ocr errors]

Jedes Volk hat seine charakteristischen Sprichwörter, welche uns über die Gesinnung desselben bessere und sichere Auskunft geben, als lange, gelehrte Abhandlungen. Die Juden und auch die Christen haben die Sprüche von Salomon und die von Jesus Sirach; die Buddhisten haben das Dhammapada und unsere Vorfahren haben ihre Klugheitsregeln in den Havamal der Edda niedergelegt. Im Dhammapada, der herrlichen Spruchsammlung, sehen wir den auf realen Boden stehenden Buddhisten, der die Vernunft zu seiner Führerin erkoren hat und der, da er die Nichtigkeit der Welt und ihrer Güter erkannt, zu einer leidenschaftslosen Ruhe gelangt ist. In den altnordischen Havamal hingegen finden wir zuweilen Regeln, die echt diplomatisch sind und eine auffallende Verschmitztheit und Selbstsucht des Verfassers verraten. Es wird darin eine Schlangenklugheit gepredigt, die nicht immer mit einer Taubensanftmut vereinigt ist.

Eine der ältesten und zugleich der wichtigsten deutschen Spruchsammlungen führt den Titel,,Freidanks Bescheidenheit". Dieselbe ist zu Anfang des 13. Jahrhunderts entstanden und uns in zahlreichen Handschriften erhalten worden. Welche Popularität dieselbe einst besafs, geht auch daraus hervor, dafs spätere Dichter, um ihren Klugreden einen gröfseren Nachdruck zu geben, denselben den Zusatz,,Also sprach her Freidank" beifügten. Von dem Verfasser der genannten Sammlung wissen wir so gut wie gar nichts.

In der Einleitung zu derselben heifst es:

,,Ich bin genannt Bescheidenheit,
Aller Tugend Königin,

Freidank hat mich zusammengestellt.
Ein Teil der Gedanken ist unrichtig."

Mit der letzten Zeile will der Dichter bescheiden andeuten, dafs er seine Gedanken nicht für unfehlbar hält. Ob aber Freidank ein wirklicher oder angenommener Name ist, darüber bleiben wir in Zweifel.

Dem Verfasser dieses Werkes stand unzweifelhaft eine gute Beobachtungsgabe und ausgedehnte Menschenkenntnis zur Verfügung. Er ist kein Freund des Adels und der Fürsten und ist auch nicht gut auf Ärzte und Kaufleute zu sprechen. Einen Bürgerstand kennt er nicht, denn er sagt:

,,Gott hat drei Stände erschaffen,

Bauern, Ritter und Pfaffen."

Er schwärmt für Recht und Billigkeit und ist ein begeisterter deutscher Patriot. Auch dem Weine scheint er nicht abgeneigt; so sagt er z. B.:

,,Der Mönche möcht ich Einer sein,

Die statt Wassers trinken Wein."

In den theologischen Streitfragen seiner Zeit ist er gründlich bewandert; doch währenddem er die Geistlichkeit wegen ihrer unersättlichen Habsucht und Falschheit und wegen ihres demoralisierenden Ablafshandels tadelt, giebt er sich zugleich die erdenklichste Mühe, den Papst gegen die Ungerechtigkeiten, die in seinem Namen begangen werden, in Schutz zu nehmen. Sebastian Brants ,,Narrenschiff" besteht nur aus erweiterten Sprichwörtern über die Gebrechen der Zeit; dasselbe gilt von Murners,,Narrenbeschwörung“.

Auch Luther war ein grofser Verehrer der kernigen Sprichwörter und wandte dieselben, wie z. B. seine Tischreden zeigen, in dem gewöhnlichen Leben mit besonderer Vorliebe an.

Der allgemeine Sprichwörterschatz ist beständig im Wachsen begriffen, denn fast ein jeder bedeutender Schriftsteller hat einen Beitrag dazu geliefert, ohne dafs er es eigentlich beabsichtigte. Sprüche von Rückert, Goethe, Claudius u. s. w. sind Gemeineigentum des Volkes geworden, ohne dafs dies von der Herkunft derselben auch nur die geringste Ahnung hätte. Auch im Umgang mit Amerikanern hört man häufig Citate, die als alte Sprichwörter gelten, in Wahrheit aber nur

Stellen aus Shakespeare, aus Butlers,,Hudibras" oder aus Franklins,,Armem Richard" stammen.

Die Sprichwörter sind so zahlreich und passen auch so für alle erdenklichen Situationen des Lebens, dafs sich Jeder, der Dumme wie der Kluge, der Faule wie der Fleissige, der Geizige wie der Verschwender, der Fromme wie der Gottlose im Notfall darauf berufen kann.

Der Langsame und Träge, dem der Mut des Wagens und Vorwärtsstrebens fehlt, sagt, ein Sperling in der Hand sei besser, als 50 auf dem Dache, und hat damit in seiner Weise recht; aber wenn jeder so dächte und handelte, d. h. wenn jeder die Hände müfsig in den Schofs legte, dann wäre es um den Fortschritt auf allen Gebieten menschlicher Thätigkeit gar schlecht bestellt.

Die Sprichwörter dürfen niemals einzeln angewandt werden, denn keines ist absolut vollständig in sich. Wenn man sagt: ,,Wer nichts wagt, gewinnt nichts", so ist dies unzweifelhaft wahr; ebenso wahr aber ist es, dafs wer nichts wagt, auch nichts verliert. Ersterem Grundsatze huldigt der Mutige, Energische und Unternehmungslustige; letzterem der Phlegmatische und Ängstliche, der mit Allem zufrieden ist.

Die Behauptung, dafs man nie zu alt zum Lernen sei, wird gewöhnlich als unumstöfsliche Wahrheit angenommen; das Volk aber fügt diesem Sprichworte den satyrischen Nachsatz hinzu:,,So sagte die alte Frau, da lernte sie in ihrem 80. Jahre hexen" und aufserdem heifst es auch:,,Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr."

Das letztgenannte Sprichwort führt uns nun zur Betrachtung der pädagogischen Weisheit der Sprichwörter. Dafs dieselbe nicht unbedeutend ist, zeigt der Umstand, dafs ihr der bekannte Schulmann Dr. Albert Wittstock ein ganzes Buch gewidmet und darin alle Sprichwörter gesammelt hat, die sich auf die Erziehung im Hause und in der Schule beziehen. ')

1) Die Erziehung im Sprichwort. Leipzig, 1889.

« ПредыдущаяПродолжить »