270 Vorwort. Auf kaum einem zweiten Gebiete ist den grundlegenden Fragen bisher so wenig Beachtung geschenkt und wildem Dilettantismus so viel Spielraum gelassen worden, wie auf dem der Kolonialpolitik. Ungeachtet der ungeheueren Opfer, welche die Völker von alters her gerade für koloniale Zwecke gebracht haben, fehlt es noch an jeder nur einigermaßen erschöpfenden und zuverlässigen Zusammenstellung ihrer in dieser Hinsicht gemachten Erfahrungen. Ein Versuch, Nutzanwendungen daraus zu ziehen, ist seit Jahrzehnten nur einmal, und gerade in dem Lande, dessen koloniale Politik im allgemeinen nicht als mustergültig betrachtet wird, nämlich in Frankreich, gemacht worden. So wenig man im allgemeinen geneigt ist, anzunehmen, daß gerade die besten und fähigsten Männer sich der Tätigkeit in Kolonien widmen, so großes Vertrauen scheint man der Regel nach in die Richtigkeit ihrer Auffassungen und Entschließungen zu setzen, da gewöhnlich die Regierungen und Parlamente folgenschwere Maßnahmen davon allein abhängig machen. Der Grund dieser auffälligen Erscheinung dürfte wohl darin zu suchen sein, daß nach dem Abfall der Vereinigten Staaten von Amerika und der Hauptmasse der spanischen Kolonien lange Zeit hindurch das Zeitalter kolonialer Politik für abgeschlossen angesehen und es nicht mehr für der Mühe wert erachtet wurde, derartigen Fragen nähere Aufmerksamkeit zu widmen. Der Verlauf der Weltgeschichte hat diese Auffassung als irrig erwiesen. Noch wiederholt hat die Aufteilung wenig oder gar nicht kultivierter Gebiete die Welt seitdem in Atem gehalten, und eben tobt wieder ein folgenschwerer Kampf um die Herrschaft in Ostasien. Dazu beschäftigt die Frage der besten Art der Erschließung und Entwicklung von Kolonien 621531 seit Jahren die wichtigsten Kulturvölker, und koloniale Gesichtspunkte beeinflussen immer häufiger ihre innere wie äußere Politik und alle Lebensverhältnisse weit tiefgreifender als die große Menge ahnt. Unter diesen Umständen dürfte der hier gebotene Versuch, die Frucht von zwanzigjährigen Studien und Beobachtungen in einer Reihe von Ländern, seine Rechtfertigung finden. Wenn er nicht alle Anforderungen befriedigt, möge die Schwierigkeit der Zusammenbringung des Materials und der Mangel an Vorarbeiten den Verfasser entschuldigen. Berlin, Februar 1905. Inhaltsverzeichnis. Ansichten F. Bacons, Grivels. J. B. Says, James Mills, Roebucks. Heutige Bacon kennt nur Plantations. Vauban scheidet Colonies forcées und colonies de hazard und de raison. A. Smith versucht keine Scheidung. Robertson trennt Auswanderungs- und Militärkolonien. Die Kategorien des Encyclopédie Grivels Theorie. Lord Broughams Ansichten. Jean Baptiste Say scheidet das antike und moderne System der Kolonialpolitik. A. G. L. Heerens Kate- gorien. James Mill findet das Entscheidende im Vorwiegen von Besiede- lung oder Ausbeutung. G. Dedels System. Roscher verschmilzt diese und die Heerensche Einteilung. Clarks historisch- P. Leroy - Beaulieu schließt sich in der Hauptsache Say-Mill an. Roebucks juristisch-politische Kategorien. Heutige Unterscheidung. Die ältere Ein- teilung, ein Überrest der merkantilistischen Theorien. Die natürlichen Ver- hältnisse von Kolonien entscheidend Besiedelungsfähigkeit des Landes durch weiße Bauern wichtigster Faktor. Besiedelbare Gebiete werden stets mit der Zeit Provinzen oder unabhän- gige Länder. Für nicht besiedelbare Länder entscheidend die Zivilisierung der Eingeborenen. Die wichtigsten Siedelungsgebiete bereits vergeben. Die noch in Entwickelung begriffenen Siedelungsgebiete. Vorzüge der südlichen Völker bei Kolonisation einzelner Gebiete. Ost- und Westindien stellen das Höchste dar, was weiße Kolonisation in tropischen Gebieten Wechsel der Ansichten. Zuerst handelt es sich um den Erwerb der Gewürze und Edelmetalle hervorbringenden Länder. Sir H. Gilbert, Sir G. Peckham, Sir W. Raleigh betonen zuerst den Wert von Kolonien für Auswanderung und Warenabsatz und Seemacht. Peckham empfiehlt Zivilisierung der Einge- borenen. Annahme der englischen Theorie in Frankreich. Montchretien Holland bezweckt besonders Förderung von Handel und Schiffahrt. Merkanti- Seite derung. Zweifel an den merkantilistischen Theorien zuerst in Frankreich. In England erschüttert A. Smith die merkantilistische Theorie. Gold ist eine Neue Auffassung vom Wert von Kolonien, vertreten von G. C. Lewis, H. Me- II. Kolonialbesitz vom völkerrechtlichen Standpunkt. 1. Portugal versucht sich im 15. Jahrhundert den Besitz der von ihm entdeckten afrikanischen Gebiete durch Genehmigung des Papstes zu sichern. Es pro- testiert gegen das Eindringen Spaniens in die von ihm beanspruchten Ge- biete. Papst Alexander VI. tritt auf die Seite Spaniens. Teilung der Welt Vertrag Spaniens mit Portugal vom 7. Juni 1494. Genauere Feststellung der Grenzlinie findet nicht statt. Neue Schwierigkeiten. Streit um die Mo- lukken. Schiedsgericht vergeblich berufen. Auseinandersetzung von 1529. Streit um die südamerikanische Grenze. Nichtanerkennung der Weltteilung durch die anderen Mächte. Frankreichs Protest gegen papierne Besitzer- greifungen. Streit Portugals mit Frankreich Französisch-portugiesische Verständigung bleibt unausgeführt. Villegagnons Kolonisationsversuch in Brasilien. England beginnt gegen Ende des 16. Jahr- hunderts Portugals Besitz zu bedrohen. Heinrich VIII. und Elisabeth wollen nur tatsächlich kolonisierte Gebiete als portugiesischen Besitz an- erkennen. Englischer Sklavenhandel im portugiesischen Westafrika. Krieg. Verhandlungen mit Portugal scheitern an Spaniens Einspruch. Vertrag von 1576. Wird nicht ausgeführt. . . Nach Vereinigung der Kronen Spanien und Portugal ist letzteres für Wahrung eines Anspruchs allein auf Gewalt angewiesen. Schließlich sichert es auch 2. Spaniens Kämpfe um seine Ansprüche mit Frankreich. Ein französischer Kolonialversuch in Florida. Vergeblicher Protest Spaniens. Es zerstört die Ansiedelung. Frankreichs Beschwerden und Maßnahmen. Fransösi- sche und andere Festsetzungen in Kanada und Westindien. Vergebliche Proteste Spaniens. Es vermag seine Ansprüche nur mit Gewalt durchzu- Philipp II. kämpft mit England um die Kolonien. Vernichtung der spanischen Armada. Frieden Spaniens mit England. Zeiten des Faustrechts in überseeischen Gebieten. Plötzliche Überfälle von Kolonien an der Tages- Weltteilung im Utrechter Frieden 1713. Neue Kolonialkriege im 18. Jahrhun- . Seite 10 11 12 |