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Einleitung.

Die Kraft oder das Insichsein des Wesens äussert sich je nach seiner Beziehung zu sich selbst oder zu anderen homogenen Wesen in zwei Grundrichtungen, welche man gemeinhin als zwei verschiedene Kräfte sich vorzustellen pflegt. Wie man in Hinsicht auf diese zwiefache Richtung für kosmische Individuen eine Centrifugal- und Centripetalkraft annimmt, so ist auch an menschlichen Individuen im geselligen Beisammensein eine analoge, zwiefache Kraftäusserung unverkennbar, die sich im Allgemeinen als Contractivund Expansivkraft bezeichnen, und zwar in Hinsicht auf die Gemüthsäusserung des Menschen als Selbstsucht und Selbstverleugnung in ihren Extremen, als Eigenliebe und thätiges Wohlwollen gegen Andere, in ihrer Annäherung zur gegenseitigen Vermittelung, sich unterscheiden lässt. Das kosmische Individuum folgt unbedingt dem es beherrschenden Naturgesetze; der Mensch aber, der allerdings als erschaffenes Wesen von der Natur abhängig ist, in welcher Abhängigkeit er eine vorgeschriebene, unwandelbare Lebensbahn zu durchlaufen hat, kann andererseits, als selbstbewusstes, vernünftiges, relativer Selbstbestimmung fähiges Wesen, sich bald der einen Richtung, bald der anderen mehr hingeben, bald das eine, bald das andere Extrem zum vorherrschenden Princip seiner Denk- und Handlungs

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weise machen, bald sie in einer Weise im wahrhaft sittlichen Bewusstsein zur Vermittelung bringen, welche ihm als einem Ganzen, und zugleich Gliede eines grösseren Ganzen, gleich forderlich ist. So selten auch die Selbstsucht oder die Selbstverleugnung im Leben unbedingt vereinzelt, ja bei ein und demselben Individuum als ausschliesslich wirkend erscheinen, so ist auch das glückliche Gleichgewicht beider nicht minder selten vorhanden, und weil man die Selbstsucht oder den Egoismus in der sinnlichen, die Selbstverleugnung in der geistigen Natur des Menschen begründet zu glauben pflegt, konnte es nicht fehlen, dass mit der Verbreitung der christlichen Weltanschauung, wo man die sinnliche Natur des Menschen in der Entzweiung mit seiner geistigen aufgefasst wissen wollte, weniger von einer Aussöhnung der feindlichen Extreme die Rede ist, als von einem Kampfe, in welchem, die Selbstsucht zu überwinden, eben die sittliche Kraft besteht 1).

Zur Zeit, wo dieser Dualismus sich wohl am deutlichsten ausprägen mochte, im Mittelalter nämlich, wo mit der Verachtung des sündhaften Fleisches die Herrschaft der Selbst

1) Vgl. Geschichte der Sittenlehre Jesu von Carl Friedr. Stäudlin. 1. Bd. Göttingen 1799, S. 705-710; S. 831-833. Vgl. Gibbon History of the decline and fall of the roman empire. L. 11, hap. 15, p. 263, Th. 11. Basler Ausgabe. ,,Bemüht, die Vollkommenheit des Evangeliums über die Weisheit der Philosophie zu erheben, trieben die eifrigen Väter die Pflicht der Selbstverleugnung, der Reinheit und der Geduld zu einer Höhe, welche kaum zu erreichen und noch weniger in unserem gegenwärtigen Zustande von Schwäche und Verderbniss zu erhalten ist. Eine so ausserordentliche und erhabene Lehre musste nothwendig dem Volke Ehrerbietung gebieten, aber sie war sehr schlecht berechnet, um die Beistimmung der weltlichen Philosophen zu erhalten, welche in der Führung dieses vergänglichen Lebens allein die Empfindungen der Natur und das Interesse der Gesellschaft zu Rathe ziehen."

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verleugnung in der Ideenwelt ihren Culminationspunkt erreicht haben mag, wusste sich der in Rede und Schrift eifrig bekämpfte Egoismus im realen Leben in voller Stärke zu behaupten, und das in zwei Hälften zerrissene, von zwei feindlichen Mächten beherrschte, menschliche Dasein bot den Schauplatz eines rastlosen Kampfes, dessen wechselnde Schicksale hinlänglich aus der Weltgeschichte bekannt sind. Was das Verhältniss der beiden Principien zu einander in unserer Zeit betrifft, so ist es im Wesentlichen folgendes: Wohl wird seitens der Religion, der Ethik, der Pädagogik die alte Fehde gegen den Egoismus fortgeführt, von Kanzeln und Lehrstühlen hinab wird die Selbstsucht nach wie vor als verwerflich, mit der hohen Bestimmung des Menschen unverträglich geschildert, die Welt in der uneigennützigen Gesinnung bestärkt und zu Werken der Liebe ermahnt. Die Philosophie, die Poesie, Belletristik und Journalistik lassen es auch ihrerseits an Erzeugnissen nicht fehlen, wo der Egoismus bald als gehässig, bald als lächerlich dargestellt und die edlere Natur des Menschen in ergreifenden Bildern verklärt wird. Aber während so in der Ideenwelt sich Alles gegen den Egoismus zu wenden scheint und das Bewusstsein wahrhafter Menschenwürde im praktischen Leben so weit wenigstens Eingang findet, dass wohl niemand gern für einen Egoisten im eigentlichen Sinne des Worts gelten möchte; so giebt es trotz alledem ein weites Gebiet menschlicher Wirksamkeit, worauf alles das im Ganzen keine Anwendung findet, wo der Mensch nicht nur factisch eher als irgendwo mit einer gewissen Unbefangenheit dem Egoismus huldigt, sondern auch von der Wissenschaft, die über dieses Terrain verfügt, die Sanction erhält, eigennützig zu sein. Dieses Gebiet, welches bei der Ausübung der meisten Pflichten und Rechte nicht zu umgehen ist, und wo nichts desto

weniger der individuelle Egoismus als das oberste Princip, der Eigennutz als der ewige und stete Leitstern gelten soll 1), ist das wirthschaftliche ?), und die sich darauf beziehende Wissenschaft, in welcher insbesondere eine solche Einseitigkeit befremdend erscheint, ist die Nationalökonomie 3).

In ihrem kindlichen Zustande, den wir aus den Schriften der Alten ersehen, hat diese Wissenschaft, trotz ihrer sonstigen Mängel, diesen einseitigen Charakter nicht; vielmehr betrachten Plato, Aristoteles, Xenophon1), und nach ihrem Vorbilde die Römer 5), den Gütererwerb von der moralischen Seite. Das Vermögen erschien ihnen nur schätzenswerth als Mittel zu einem edlen, wohlthätigen Leben; dagegen erklärten sie das unbegrenzte, aus Hab- und Genusssucht hervorgehende Streben nach Reichthum für unsittlich, indem das wahrhafte Bedürfniss nach äusseren Gütern seine Schranken habe 6). Eben so wenig ist das sitt

1) J. F. E. Lotz, Handb. der Staatswirthschaftslehre, Bd. 1, S. 8. 2) Nach Zachariae ist die Wirthschaftslehre die Methodenlehre der Habsucht und des Geizes. Vgl. Vierzig Bücher vom Staate, Bd. V, S. 7. Grundsätze der Volkswirthschaftslehre von K. H. Rau, Bd. I, S. 7. 3) Andere Namen: Volkswirthschaftslehre, Theorie des Nationalreichthums, Theorie des Volksvermögens, Volksgüterlehre. Vgl. Steinlein, Volkswirthschaftslehre I, XV; Rau a. a. O. I, S. 8. 9.

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4) Plato: de Republica sive de Justo und de Legibus. Aristoteles: Ethicorum Nicomacheorum, L. X; Politicorum, L. VIII; und Oeconomicorum, L.II.; hauptsächlich ein Theil des ersten Buches seiner Politik, weil von der Oekonomik das zweite gewiss, das erste vielleicht einen anderen Verfasser hat. Vergl. Rau, Ansichten der Volkswirthschaft, S. 3-21. Von Xenophon ist besonders Liber oeconomicus wichtig, minder de reditibus Atheniensium.

5) Cicero: de officiis; Columella: de re rustica; Se-* neca: Epist.

6) Vergl. Plato, de legibus, 1; Xenophon, Oecon. C. 7 und 11; Aristoteles, Politicorum, I, C. III, pag. 8. 9. 10, VII, pag. 3. 4. 5. Auch vergleiche die Staatshaushaltung der Athener von

liche Gepräge in den wenigen ökonomischen Schriften des Mittelalters zu verkennen 1). Bei den Mercantilisten 2) wird aber die Selbstsucht beim Gütererwerb grundsätzlich 3); dagegen ist bei den Physiokraten, wie weit sie auch in ihren Forderungen des unbedingten Gehen- und Gewährenlassens gehen, ein menschenfreundlicher Sinn vorwaltend 4). Mit Adam Smith, dem es vorbehalten war die Leistungen seiner Vorgänger zu läutern, sie durch manchen neuen Gedanken

A. Boekh, Berlin, 2 Bde. 1817. 8. 1, S. 55 ff. Bei Cicero de officiis, Lib. 1, Cap. 20, heisst es : Nihil est tam angusti animi tamque parvi, quam amare divitias; nihil honestius magnificentiusque, quam pecuniam contemnere, si non habeas, si habeas ad beneficientium liberalitatemque conferre. Der ethische Gesichtspunkt, aus dem die Alten die Wirthschaft betrachteten, macht auch ihre ökonomischen Vorurtheile, wie die Verachtung der Gewerbe, besonders des Kleinhandels, des Zinsnehmens und die Überschätzung des Landbaues etc., erklärlich. Im Widerspruche mit dieser Anschauungsweise steht die Gutheissung der Sclaverei, besonders bei Aristoteles Polit., L., C. 1 u. 2, und noch mehr die volkswirthschaftliche Praxis. Vergleiche Boekh a. a. O. 1, S. 40.

1) Thomae ab Aquino opusc. 38: de regimine principum; opusc. 39: de usuris; opusc. 40: de regimine Judaeorum. Vincent Belovacensis speculum morale. Aegidius Romanus de regimine principum. Engelbertus Admontensis de regimine. Petrarca de republica optime administranda. Franciscus Patricius de institutione rei publicae und de regno et regis institutione. 2) Vgl. Litteratur bei Rau a. a. O. 1, S. 39 - 42.

3) Vgl. die materiellen Grundlagen etc. der europäischen Cultur von K. Arndt, S. 194. Vgl. Cours d'Économie politique par H. Storch, T., pag. 117–123. Lotz: Staatswirthschaftslehre, Bd. I, pag. 115. 116.

4) Vgl. Litteratur bei Rau a. a. O. 1, pag. 46-48. Quesnay's Denkspruch war: Pauvres paysans, pauvre royaume; pauvre royaume, pauvre souverain. Er brachte es dahin, dass dieser Denkspruch in der königl. Druckerei zu Versailles von der eigenen Hand Ludwigs XV. abgedruckt wurde. - Vgl. Cours d'Économie politique par H. Storch, T. 1, 1815, pag. 131. Lotz: Staatswirthschaftslehre, Bd. 1, § 27.

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